Der erste Teil zum Thema „Gendersprache“ findet sich hinter diesem Link.
Zwischenzeitlich habe ich mir das linguistische Standardwerk „Das Wort. Grundriss der deutschen Grammatik“ von Prof. em. Dr. Eisenberg, dessen Artikel im Tagesspiegel Ausgangspunkt meiner Erwiderung war, zugelegt. Eins vorweg: Das Buch ist ein Meisterwerk zum Verständnins der deutschen Sprache! Interessiert hat mich angesichts der Diskussion die wissenschaftliche Aufbereitung des Bereichs „Suffigierung“ durch Prof. Dr. Eisenberg selbst, konkret um die Einordnung und Unterscheidung der Endungen -er und -in . Es zeigt sich ganz deutlich, dass der Liguist dort selber auf Ungereimtheiten und Grenzen der gängigen Theorie gestoßen ist.
Das Suffix -in führt er zunächst als „Kategorieerhaltendes Suffix“ auf, was nichts anderes bedeutet, als dass -in an ein Nomen angehängt werden kann, woraus eine Personenbezeichnung entsteht, die ebenfalls ein Nomen ist.1 Das klingt sinnvoll, man denke an Bauer – Bäuerin, Kammer – Kämmerin oder Zauber – Zauberin. Nimmt man jedoch Beispiele wie Botin (abgeleitet vom VERB bieten) oder Förderin (abgeleitet vom VERB fördern), stelllt man fest, dass –in durchaus auch aus Verben ein Nomen machen kann, somit nicht ausschließlich „kategorieerhaltend“ ist. Die Einordnung durch Eisenberg kann also an dieser Stelle durchaus in Frage gestellt werden.
Als „Kategorieveränderndes Suffix“ kommt an dieser Stelle das Suffix -er ins Spiel. Der Konzeption von Eisenberg zufolge wird es an einen Verbstamm angehängt, um ein Wort zu schaffen für die „Person, die die durch das Verb bezeichnete Tätigkeit ausübt“2. Auch das ist auf den ersten Blick sinnvoll, denn das Wortbildungsschema wie arbeit(en) – Arbeiter, sing(en) – Sänger oder verlier(en) – Verlierer ist in der deutschen Sprache absolut gängig . Hier wird jeweils aus einem Verb ein Nomen, die Wortkategorie ändert sich somit. Wie ist es aber mit Zauber – Zauberer, Kram – Krämer oder Witwe – Witwer? In diesen Fällen bleibt die Kategorie Nomen bestehn, das Suffix ist in diesen Fällen also „kategorieerhaltend“. Folglich ist auch hier die gängige Einordnung des Suffixes durch Eisenberg streitbar.
Nun kommt jedoch der Clou: Da das Suffix -er als kategorieveränderndes Suffix bezeichnet wird, -in jedoch nur als kategorieerhaltend, KANN nach Eisenberg im Deutschen ein Wort wie „Lehrerin“ nur deshalb ein Nomen sein, weil es sich vom Verbstamm lehr- ableitet und durch -er erst in die Kategorie Nomen gebracht wird! Eine Wortkette mit mehreren Suffixen (z.B. lehr -er -in) MUSS nach Eisenberg immer nach diesem Schema gebildet werden, denn ein Verbstamm kann nicht durch -in zu einem Nomen gemacht werd, sondern benötigt vorangehend das -er !
Das ist eine gewagte These, für die schnell Gegenbeispiele gefunden werden können und daher etwas Vertiefung vertragen hätte, doch Eisenberg geht an dieser Stelle aber lieber weiter auf das Suffix -in ein: „[Das einizige feminine Suffix -in] verhält sich auch in anderer Hinsicht auffällig: Im Allgemeinen bildet es nicht für sich allein Personenbezeichnungen, sondern braucht ein typisches Personensuffix wie in Sport+ler+in, Lehr+er+in (nicht *Sportin, *Lehrin).3 Er schränkt mit dem Satzbaustein „im Allgemeinen“ die Gültigkeit dieser Aussage ein (wie bereits mehrmals zuvor in diesem Kapitel); man könnte meinen, er ahnt er, dass diese Theorie äußert schwammig ist. Anschließend ergänzt er dies nämlich um die (aus seiner Sicht) abweichenden Wortbildungen Bote – Botin, Kunde – Kundin, in denen das Suffix -in ganz offensichtlich auch die Kategorie von Verb zu Nomen ändert! Ich empfinde es so, dass diese Ausnahme seiner Ausgangstheorie ganz eindeutig widerspricht. Sie ließe sich außerdem ganz einfach umgehen, wenn er das Suffix -in sowohl als kategorieerhaltendes, als auch als kategorieveränderndes Suffix klassifizieren würde (das Gleich könnte er auch mit -er machen)!
Im Anschluss schreibt er, dass -in das einzig Suffix sei, „das mit dem Femininum auch Sexus anzeigt“4, für Maskulina ergänzt er als Beispiel das Suffix -ling. Er übersieht an dieser Stelle jedoch, dass das Suffix -er auch ein maskulines Sexus zuweisen kann: ein männlicher Lehrer ist schließlich ein Lehrer, ein männlicher Zauberkünstler ist ein Zauberer und eine männliche Witwe ist ein Witwer! Folglich wird durch die Endung -er (oder -r) das Sexus „männlich“ zugewiesen!
Fazit: Die Ausführungen von Prof. Eisenberg zur Suffigierung sind aufschlussreich und insgesamt recht stringent. Abweichungen von der gängigen Lehrmeinung tut er jedoch leider nur als Ausnahmeerscheinungen ab, was ich sehr schade finde, denn eine etwas flexiblere Strukturierung der Suffixklassen hätte die Zahl der Abweichungen deutlich reduziert: Die Einordnung von -in und -er als sowohl kategorieerhaltend, als auch kategorieverändernde Suffixe würde zahlreiche Ausnahmenennungen obsolet machen.
Bleibt die Frage: Warum bleibt er bei diesem Schema, obgleich er selber auf Ungereimtheiten stößt?
An dieser Stelle mutmaße ich: Die von Prof. Dr. Eisenberg skizzierte Suffigierungsstruktur ist möglicherweise das einzige Argument, um ein Theorem wie das „generische Maskulinum“ hinreichend zu begründen!
Wenn das -er als einzig kategorieveränderndes Suffix zur Bildung von Nomen aus Verbstämmen definiert wird, wird es für alle diese Wortbildungen (Ausnahmen bestätigen die Regel) obligatorisch. Eine Sexuszuweisung würde dann erst im nächsten Schritt erfolgen, bspw. durch Suffixe wie -in oder -ling. (Da stellt sich mir die Frage: Wie kommt eigentlich ein männliches Sexus in die Bezeichnung Lehrer für eine männliche Lehrkraft?)
Würd man jedoch das -in ebenfalls als kategorieveränderndes Suffix betrachten, das zugleich jedoch auch eindeutig ein Sexus zuweist, dann bliebe zur strukturellen Unterscheidung zwischen –er und -in nur noch, dass -er grundsätzlich ein männliches Sexus zuweist (also Bezeichnungen mit männlichem Sexus bildet) und -in ein weibliches Sexus zuweist (also Bezeichnungen mit weiblichem Sexus bildet)! Damit wäre das Theorem des generische Maskulinums widerlegt, denn es wäre offensichtlich, dass mit Begriffen wie Lehrer, Verkäufer, Sänger oder Lügner zunächst einmal ausschließlich männliche Personen gemeint sind!
Und dieses Ergebnis wäre Wasser auf die Mühlen für die Befürworter gendergerechter Sprache.
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