„Muss die deutsche Sprache gendergerechter werden?“ Diese Diskussion kursiert uns nun schon seit einigen Jahren, und genauso lange stehen sich (wie in jeder derartigen Diskussion) die Hardliner auf der einen wie auf der anderen Seite scheinbar unversöhnlich gegen. Alle sehen sich im Recht und führen zu ihrer Unterstützung die unterschiedlichsten Begründungen an. Die neueste Argumentationskette der Gegner einer Anpassung der deutschen Sprache bezieht sich auf den – in ihren Augen nicht vorhandenen – Zusammenhang zwischen dem grammatischen Geschlecht eines Wortes und dem biologischen Geschlecht des Bezugsindividuums. Auf dieses Argument möchte ich mit diesem Beitrag eingehen und meinen Standpunkt erläutern. Spoiler: Meiner Meinung nach gibt es diesen Zusammenhang!

Im letzten Jahr hat sich ein ausgewiesener Fachmann für die deutsche Sprache, der emeritierte Prof. Dr. Peter Eisenberg in der Diskussion mehrfach zu Wort gemeldet, für mich am eindrucksvollsten in einem Artikel für den Tagesspiegel mit dem Titel „Finger weg vom generischen Maskulinum!“ Keine Sorge: Der Inhalt des Aufsatzes ist weniger polemisch als die Überschrift, vielmehr spricht sich Prof. em. Dr. Eisenberg mehrfach dafür aus, dass wir „unsere Sensibilität für offene und besonders für versteckte sprachliche Diskriminierung von Frauen [und Geschlechteridentitäten jenseits des binären Systems] weiter schärfen“. Hieraus sollte deutlich erkennbar sein, dass es sich bei dem Akademiker im Ruhestand keineswegs um einen engstirnigen Mann handelt. Seine Argumentation halte ich jedoch für unzureichend. Er schreibt in seinem Beitrag:

„Ein Wort wie Lehrer hat genau zwei Bausteine, nämlich den Verbstamm lehr und das Substantivierungssuffix er, das zu Bezeichnungen von Personen führt, die das tun, was der Verbstamm besagt.“ (Hervorhebungen von mir)

Quelle: siehe oben verlinkter Artikel „Finger weg vom generischen Maskulinum!“

Soweit stimme ich zu, diese Wortbildungstheorie ist essenzieller Bestandteil des liguistischen Studiums. Prof. Dr. Eisenberg argumentiert weiter, dass es zahlreiche Ableitungen des Wortes „Lehrer“ gibt, die alle geschlechtsneutral sind (Beispiele von mir: „Lehrerzimmer“, „Lehrerausbildung“). Hieraus schlussfolgert er, dass das Wort „Lehrer“ grundsätzlich ungeschlechtlich ist – also neben dem grammatischen Geschlecht, dem Genus, kein biologisches Geschlecht, also kein Sexus besitzt. Das ist die traditionelle Begründung für die Existenz des generischen Maskulinums: Das Anhängen von „-er“ an einen Verbstamm macht daraus eine ungeschlechtliche Gruppenbezeichnung und gibt keinen Hinweis auf das Sexus.

Diese Argumentation ist in meinen Augen jedoch unzureichend. Natürlich muss man klar unterscheiden zwischen dem grammatischen Geschlecht (Genus) eines Wortes und dem biologischen Geschlecht (Sexus) oder Gender [Anm.: Ich bin mir bewusst, dass zwischen biologischem Geschlecht und Gender ein Bedeutungsunterschied besteht, siehe Erklärvideo „Geschlecht und Gender“ auf der Twitter-Seite der tagesschau; dennoch wird der Begriff in der Diskussion synonym verwendet.] . Und um es direkt ganz deutlich zu sagen: Die aktuelle Debatte dreht sich um generisch maskuline Begriffe wie „Kunde“ als Sammelbegriff für Männer und Frauen, wogegen sich die Frauenrechtlerin Marlies Krämer zurzeit juristisch zur Wehr setzt, und eben nicht um Bezeichnungen wie „DIE Bank“ oder „DER Schlüssel“, die ohnehin kein Sexus besitzen! Es geht um Begriffe, die einen Menschen näher beschreiben, wie bspw. die Berufsbezeichnungen „DER Lehrer“ und „DIE Lehrerin“.

1. Die semantische Komponente

Bleiben wir bei dem von Herrn Eisenberg gewählten Beispiel „Lehrer“. Es setzt sich also zusammen aus dem Verbstamm „lehr-“ und dem Nominalisierungssuffix „-er“ . Erste Auffälligkeit: Das graphemisch, phonologisch und morphologisch gleiche Wort ist auch die Bezeichnung für einen Mann, der der Lehrberuf ausübt. „Lehrer“ kann folglich auch ein Individuum mit dem Sexus „männlich“ bezeichnen. Es ist somit semantisch zumindest uneindeutig. Beispiel:

(1) Alle Lehrer sind heute beim Sportfest.

Dieser Satz wird in der Regel so verstanden, dass alle Lehrkräfte sich beim Sportfest befinden. Der Sinn des Satzes wird aber deutlich verändert, wenn ein einschränkender Nachsatz folgt:

(2) Alle Lehrer sind heute beim Sportfest, die Lehrerinnen sind in der Schule geblieben.

Nun wird unter dem Wort „Lehrer“ nicht mehr das Kollegium im Gesamten verstanden, sondern ausschließlich die männlichen Lehrkräfte. Folglich ist Satz (1) semantisch uneindeutig, denn es erschließt sich nicht, ob alle Lehrkräfte oder nur die männlichen gemeint sind. (Das wäre übrigens ein Argument FÜR gendergerechte Sprachanpassungen!)

2. Die Suffigierung mit -in

In der deutschen Sprache gibt es Wortendungen, die einem Nomen ein Sexus zuweisen („movierende Suffixe“).1 Das häufigste movierende Suffix ist „-in“ , welches, der Logik von Herrn Eisenberg folgend, an das Nominalisierungssuffix angehängt wird, um dem bezeichneten Individuum das Sexus „weiblich“ zuzuweisen (damit ändert sich dann auch das grammatische Geschlecht, also das Genus von maskulin der zu feminin die). Das ist erstaunlich, denn das bedeutet, dass man für die Bezeichnung eines weiblichen Individuums, welches einer Tätigkeit nachgeht, einen gesonderten Wortbestandteil benötigt, um es in eine weibliche Form zu überführen – bei der Bezeichnung eines männlichen Individuums jedoch nicht!
Das wiederum kann folgende Begründungen haben:

a) Entweder benötigt ein Wort, das einem Individuum das Sexus „männlich“ zuweisen soll, kein movierendes Suffix, weil dieses bereits durch das Nominalisierungsuffix „-er“ zugewiesen wird. Damit hätte das Suffix „-er“ eine Doppelfunktion (nominalisieren + movieren)!
b) Oder ein Wort für ein männliches Individuum benötigt überhaupt kein movierendes Suffix, weil dieses nur als Leerstelle existiert.
Ein Wortbildungsschema für „Lehrer“ wäre dann „lehr-“ (Verbstamm) + „-er“ (Nominalisierungssuffix) + „_“ (Leerstelle als männlich-movierendes Suffix); ein Wortbildungsschema für „Lehrerin“ wäre folglich „lehr“ (Verbstamm) + „-er“ (Nominalisierungssuffix) + „-in-“ (weiblich-movierendes Suffix ).

Das hieße jedoch in beiden Fällen: Ein Wort, das auf „-er“ endet und für etwas steht, was in mehreren Sexus existiert, ist grundsätzlich mit dem Sexus „männlich“ markiert, da die weiblich-movierende Endung fehlt!

3. Die männlich-movierende Suffigierung

Was in dieser Diskussion und der Argumentation (u.a. von Herrn Prof. Eisenberg) immer wieder außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass es auch geschlechtszuweise Suffixe für männliche Individuen gibt! Hierauf will ich in zwei Punkten eingehen, die zugleich die Bedeutung der weiblichen Endung „-in“ verdeutlichen.

  • Das häufigste regelmäßige männlich movierende Suffix (abgesehen von Wortneubildungen) ist, und jetzt bitte alle festhalten: „-r“ . Man findet es in Worten wie „der Hexe-r“ (abgeleitet von „die Hexe“) oder „der Witwe-r“ (von „die Witwe“). In beiden Fällen bedeutet das Wortende „-er“ (Kombination „e“ des Wortstammendes mit dem Suffix „-r„) somit, dass ein weibliches Wort in ein männliches flektiert wurde. Zufall? Ausnahmeerscheinung? Möglich, da diese Form der Suffigierung kaum produktiv ist 2 [das heißt übrigens, dass es sie kaum gibt; eine Erklärung hierfür biete ich unter 4. an]. In meinen Augen ist es jedoch eher ein weiterer Beweis dafür, dass derartige Bezeichnungen, die auf „-er“ enden, grundsätzlich auf ein maskulines Sexus verweisen.
  • Nun wird es ganz offensichtlich: Einen Mann, der Zauber anwendet, nennt man „Zauberer“. Das Wort wird so gebildet, dass an den Stamm „zauber-“ (ob Verbstamm oder Nominalstamm, lassen wir an dieser Stelle außer Betracht) das Nominalisierungssuffix „-er“ angehängt wird. Folgt man der Argumentation von Prof. Dr. Eisenberg, wäre das Wort „Zauberer“ als generisches Maskulinum ungeschlechtlich, kann aber durch Anhängen des weiblichen Suffix „-in“ in eine weibliche Form überführt werden. Diese Wortbildung funktioniert allerdings nicht, das Wort „Zauberer-in“ gibt es im Deutschen nicht – man nennt diese Figur „Zauber-in“. Das gleiche Wortbildungsschema gilt für ähnliche Bezeichnungen wie „Kämmer-in“ (vs. „Kämmer-er“) oder „Förder-in“ (vs. „Förder-er“). Warum wird in diesen Bildungen auf das Nominalisierungssuffix „-er-“ verzichtet? Die Grammatiken sprechen in solchen Fällen davon, dass eines der beiden „-er-“ (!) schlicht gestrichen (!!) wird3 – aber auch hierfür müsste es einen Grund geben. Für mich naheliegend: Das Nominalisierungsuffix „-er-“ als Nominalisierung zu einem Stamm, der auf „-er“ endet, wird in einer Bezeichnung für eine weibliche Person nicht benötigt, da das Suffix „-in“ bereits die Nominalisierung beinhaltet ! [Dies kennt man übrigens aus Dialekten wie dem Saarländischen, wo bspw. an den Verbstamm „lehr“ die weibliche Endung „-ing“ angehängt wird und so das Wort „Lehring“ (saarländisch für „Lehrerin“) gebildet wird – und nicht der Umweg über das Nominalisierungssuffix „-er-“ gegangen wird!4.

Folglich wird die Endung „-in“ benötigt, um ein weibliches Nomen zu bilden, und die Endung „-er“ (oder „-r“ , wenn der Stamm auf „e“ endet) wird benötigt, um ein männliches Nomen zu bilden.

4. Exkurs: Familienbezeichnungen in früheren Zeiten

Die Erkenntnis, dass es sich sowohl bei „-er-“ , als auch bei „-in“ um movierende Suffixe handelt, lässt sich auch kulturhistorisch erklären. Das geschechtsspezifische Suffix „-in“ ist nämlich deutlich später entstanden als die Worte, an die es angehängt wurde. Hier liegt der Bezug zur im Mittelalter aufgekommenen Notwendigkeit nahe, Familienbezüge zu verdeutlichen. So wurden Männer damals sehr häufig nach ihrer Tätigkeit bezeichnet (Müller, Schneider, Meier, Bauer,…), wobei die Bezeichnung für die Tätigkeit, also das Verb bereits vor der Berufsbezeichnung existierte (diese Annahme ist eine Grundlage der Wortbildungstheorie). Die Bezeichnung für die Ehefrau und Nachkommen der Männer wurde im Deutschen fast ausschließlich patronymisch gebildet, als in Bezugnahme auf den Mann.5 Die Gesellschaft war paternalistisch organisiert, der Mann war „der Herr im Haus“, hatte weitgehende Befugnisse sogar gegenüber der Ehefrau und war somit für Dritte stets die einzige Ansprechperson. Folglich war es wichtig, dass ihm ein eindeutiger Name zugewiesen wurde, z.B. „Jan, der Müller“. Meine Vermutung ist, dass sich daher die meisten Berufsbezeichnungen auf „-er“ ergeben – eben weil es kaum ausschließliche Frauenberufe gab und die somit eine weibliche Bezeichnung benötigten (z.B. „die Amme“)6. Insbesondere im Süddeutschen setzte sich in der Folge durch, dass Ehefrauen mit dem Namen ihres Mannes bezeichnet wurden, an den ein „-in“ angehängt wurde (Bsp.: allemannisch Schnideri(n) -> „Ehefrau des Schneiders“).7
Zurückweisend auf die sprachwissenschaftliche Erkenntnis bedeutet dies, dass der Wortbestandteil, an den das weibliche Suffix „-in“ in weiblichen Namen angehängt wurde, immer mit dem Sexus „männlich“ markiert war.

5. Fazit

1. Das Suffix „-er“ ist sowohl Nominalisierungssuffix, als auch movierendes Suffix. Es bildet, angehängt an einen Verbstamm, die Bezeichnung für ein männliches Individuum, das die im Verbstamm genannten Tätigkeit ausübt!
2. Das Suffix „-in“ ist sowohl Nominalisierungssuffix, als auch movierendes Suffix, denn es bildet, angehängt an einen Verbstamm, die Bezeichnung für ein weibliches Individuum, das die im Verbstamm genannten Tätigkeit ausübt!
3. Ein generisches Maskulinum trägt somit bei Wörtern, die auf „-er“ enden, immer das Sexus „maskulin“.

Es gibt somit eindeutig einen Zusammenhang zwischen dem grammatischen und dem biologischen Geschlecht bei Berufs- oder Tätigkeitsbezeichnungen!

P.S.: Ich will nicht die Existenz eines „generischen Maskulinums“ leugnen, und auch nicht seine potenzielle Sinnhaftigkeit. Mein Anliegen ist vielmehr, die herrschenden Argumente zu analysieren und ggf. zu ergänzen oder kritisieren.

Zwischenzeitlich habe ich einen Nachtrag zu diesem Artikel geschrieben. Er ist unter diesem Link erreichbar.

Text veröffentlicht unter Lizenz CC BY-SA 4.0

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Kategorien: Deutsch

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